Alt wie ein Baum ...

... eine Senioren-Landpartie zu den Borsigs nach Groß Behnitz im Havelland

Herr L., seines Zeichens Senior, Diplom-Ingenieur und ehem. Segler besitz einen wunderbaren blauen Mercedes C 180 Automatic, mit dem wir in den Sommermonaten einmal in der Woche einen Ausflug ins schöne Berliner Umland unternehmen.

Diesmal rollten wir an wogenden Feldern, aus denen die Lerchen emporstiegen, an blühenden Sommergärten und dem Nauener Windradpark vorbei durch das schöne Havelland. In diesem Storchen-Eldorado ließ sich im Dorfe Groß Behnitz, oberhalb des Behnitzer Sees, im Jahre 1800 ein Herr von Itzenplitz ein Herrenhaus errichten, das 1866 in den Besitz der Familie Borsig überging.  An dieser Stelle entwickelten sie einen agrarischen Musterbetrieb mit Ziegel- und Schnapsbrennerei, Schmiede, Stallungen, Arbeiterwohnhaus und ließen dort bis 1945 ca. 2700 ha Land bewirtschaften. Ihre wohlverdiente Ruhe fanden sie vis à vis in der Familiengruft unterhalb der Groß Behnitzer Dorfkirche.


Heute gehört das Landgut der Familie Stober, und nach einem hässlichen Namensstreit dürfen die Stobers den Namen Borsig nicht mehr verwenden. Sie führen dort ein biodynamisches Hotel mit Restaurant und Veranstaltungs- und Tagungsräumen und leben mit ihren Kindern auf dem Gut.

Als ich auf dem Hotelparkplatz mit Blick auf das moderne Haus zum Halten kam, sah Herr L. etwas enttäuscht aus und murmelte nur: „Das ist alles?“ . Ich hatte ihm von diesem Ort reichlich vorgeschwärmt und sah mich nun in der Pflicht, seine Erwartungen zu erfüllen. Ich wendete, fuhr an der langen Gutsmauer entlang und parkte direkt an der Dorfstraße mit Blick auf das imposante rote Eingangsportal aus Backsteinen und den spätbarocken Sandsteinfiguren des abgerissenen Oranienburger Tores aus Berlin.

Mitten auf dem Gutsgelände hatte man in Erinnerung an die Firma Borsig eine kleine, alte Dampflokomotive aufgestellt, die als erstes per Rollstuhl inspiziert werden sollte. Leider war das gesamte Gutsgelände mit historischem Kopfsteinpflaster belegt, so dass wir tapfer, mühselig holpernd, quer über den riesigen Hof, an der Dampflok vorbei, das Herrenhaus links liegen lassend, direkt auf der rückwertigen Terrasse des geöffneten Restaurants oberhalb des Sees, erschöpft zum Stillstand kamen.

Dort empfing uns die fröhliche Gastgeberfamilie, die den besucherarmen Montag und das schöne Wetter nutzte, um draußen, gemeinsam an einem Tisch sitzend, die Schularbeiten der Kinder zu beaufsichtigen. Da wir so freundlich begrüßt wurden, und wir die einzigen Gäste waren, nutzte ich die Chance und stellte Herrn L. der Familie Stober vor. Alle dachten dabei vom jeweils anderen, es handle sich beim Gegenüber um eine wichtige Persönlichkeit, und sofort kam man in ein höfliches Gespräch, dass sich auf die Besonderheiten der schönen Lage und die Historie des Ortes bezog. Herr L. war begeistert und fragte, wie er denn nun die vielen Treppen zum See herunterkäme, um am schönen, schattigen Uferweg zu verweilen, und um die alten ehrwürdigen Bäume zu bewundern, welche die Borsigs dort hatten anpflanzen lassen?

Die freundliche Familie Stober bot sofort an, Herrn L. mitsamt dem Rollstuhl die lange Treppe herunter zu tragen. Obwohl ich die Abenteuerlust in Herrn L.s Augen aufblitzen sah, fragte ich nach einer Alternative, die uns dann wieder holpernd über das Gutsgelände, an allen Gebäuden vorbei und über Umwegen endlich an den See brachte.

Hier wurden wir belohnt von schattiger Kühle, dem Rauschen des Schilfes, in dem die Blesshühner ihre Nester bauten, springenden Fischen und zwei großen, uralten
Platanen, die einträchtig, seit Jahrhunderten, nebeneinander am Ufer standen. Es hätte jeweils mehrere Männer benötigt, sich an den Händen haltend, um die Stämme einzeln umfassen zu können. Ich schätzte die Bäume auf mindestens 200 Jahre, hatte ich doch ähnlich schöne Exemplare im Schlosspark Schönhausen gesehen.

Herr L. war stumm vor Ehrfurcht und blickte lange, nachdenklich an den Stämmen empor. Unwillkürlich begannen wir den Schlager, „Alt wie ein Baum...“ zu summen. Wir entdeckten eine kleine Tafel, die uns erklärte, dass diese Naturdenkmäler von Alexander Humboldt dem Herrn von Itzenplitz für seinen Gutspark geschenkt worden waren. Die genaue Jahreszahl hatte man weggelassen. Wusste man es doch selbst nicht mehr so genau! Unwillkürlich wurde uns unsere eigene, kleine Endlichkeit unseres kurzen Lebens auf dieser Erde bewusst. Da Herr L. Friedhöfe nicht mag, vergas ich, ihm den abschließenden Besuch in der Familiengruft der Borsigs vorzuschlagen, was nach Entdeckung dieser uralten, lebendigen Bäume auch überflüssig war.

Fröhlich rauschten wir im Abendlicht über die Landstraßen des Havellandes zurück nach Charlottenburg, wo das Abendbrot in der Seniorenresidenz wartete.

Gastbeitrag von:

Dr. Uta Schnell
Kunsthistorikerin, Seniorenassistentin
Berlin (Bezirk Steglitz-Zehlendorf)

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