Frisch rasiert ins neue Jahr

Zweiter Januar 2017. Das neue Jahr fängt gut an. Herr L. benötigt dringend einen besseren Rasierapparat und möchte sich nachträglich selbst zu Weihnachten eine kleine Freude machen. Man sieht ihm die notwenige Rasur und die Vorfreude deutlich an.

Wir beschließen, uns per Mercedes und Rollstuhl, in das nächste Einkaufscenter mit integriertem Parkhaus zu begeben. Schnell sind wir in der Wilmersdorfer Straße, einer Haupteinkaufsstraße in der Nähe seiner Westender Seniorenresidenz, und finden dort auf Anhieb einen, in jeder Hinsicht bequemen, Parkhafen mit Rollstuhlzeichen. Den Fahrstuhl, der uns in das passende Stockwerk bringt, hätten wir wohl nie erreicht, wenn uns nicht mitleidige Passanten die äußerst schweren Stahltüren aufgehalten hätten, welche sich als unüberwindbare Hindernisse darstellten.

Am Eingang des Elektronikmarktes lösen wir großen Alarm aus und es piept zum wahnsinnig werden an der elektronischen Schranke, als wir nichts ahnend mit dem Rollstuhl hindurchfahren. Manchmal kann Schwerhörigkeit von Vorteil sein. Wir lächeln den Sicherheitsmann an, gucken hilflos, zucken mit den Schultern und werden von ihm vorbeigewunken. Die nette Dame an der Information erklärt uns den Weg in die passende Abteilung – nur keinen Weg mit Rollstuhl zu viel in diesem Gewusel, und wie durch ein Wunder stehen ausgerechnet in der Abteilung für Rasierapparate zwei freundlich aussehende Verkäuferinnen, erkenntlich an den roten T-shirts, und plaudern entspannt miteinander. Herr L. spricht höflich die blonde Frau K. an, denn die modische Brille verleiht  ihr eine kompetente Ausstrahlung.

Obwohl ich ihr gleich zu Beginn des Verkaufsgespräches erkläre, dass sie sehr viel lauter als gewöhnlich mit Herrn L. sprechen muss, kommt das bei ihr ebenfalls nicht an, und so übersetze ich quasi in gebückter Haltung, hinter ihm stehend, direkt in sein Ohr, was mir nach kurzer Zeit den Rücken schmerzen und den Schweiß treiben lässt.

Herr L. ist vergnügt über die sympathische, gut aussehende und kompetent beratende (blonde) Verkäuferin, und da er sich vorher informiert hatte, was er für genaue Wünsche hat, geht es schneller als gedacht. Nachdem ich ihm noch elegant eine komplizierte Reinigungsapparatur für den Rasierer ausgeredet hatte (Gründe dagegen gab es genügend, angefangen vom Preis bis zum Platz- und Wartungsproblem), hält er stolz auf dem Schoß den Karton mit seinem neuen Gerät der Marke Ph., und ich fädele uns in die Schlange an der Kasse ein, als Herr L. plötzlich einen klugen Einfall hat.

Wir verlassen die Kasse wieder und kreuzen durch die Abteilung mit den großen Flachbildschirmen. Dabei steuern wir einen jungen Mann an einem Sonderverkaufsstand an, der angstvoll auf Herrn L. herabsieht, als dieser ihn anspricht:
„Junger Mann, falls Sie sich schon Rasieren, welche Marke würden sie bevorzugen? Marke Br. oder Marke Ph.“  (Schleichwerbung darf ich an dieser Stelle nicht machen.)
Nachdem der junge Mann mehrfach versichert hat, dass er hier kein Verkäufer sei, sich aber schon rasieren würde, jedoch dieses immer mit dem Apparat seines Vaters täte und nicht weiß, ob das nun Marke dies oder das sei, zogen wir nach einem weiteren „Opfer“ suchend von dannen.

In der Abteilung der Smartphones und Tablets steht ein junger Verkäufer im roten
T-shirt, der ganz besonders gut rasiert aussieht. Kinn und Wangen leuchten frisch und rosig und sind glatt wie ein Kinderpopo. Er versteht unser Spiel sofort und macht gut mit. Er antwortet galant: „Mein Herr, ich muss Sie enttäuschen“ und fährt sich dabei genüsslich über sein Kinn. Ich rasiere mich ausschließlich nass.“

Schade. Bisher hatte unsere kleine Umfrage nicht das gewünschte Ergebnis erzielt.
Herr L. macht eine feldherrenähnlich Bewegung mit der Hand, was für mich bedeutet: Weiterschieben und die nächsten Verkäufer ansprechen und nach Ihren Rasiergewohnheiten befragen. Diesmal gehen wir geschickter vor. In der CD/DVD-Abteilung stehen drei junge Verkäufer, den Rücken zu uns gewandt, und plaudern ebenfalls miteinander. Der große Umtausch nach dem Fest scheint noch nicht ausgebrochen zu sein. Geschickt kurven wir um das Grüppchen herum.  Zuerst sind wir etwas ratlos. Der erste Herr trägt einen 3-Tage-Bart und scheint sich nicht oft und gerne zu rasieren, der zweite Herr besitzt einen Vollbart, versichert aber, dass er die Kanten am Hals und an der Oberlippe regelmäßig Trimmen muss und der Dritte  hat einen Fusselbart - nichts Halbes und nichts Ganzes.
Alle Drei sind, nach den überstandenen Feiertagen, äußerst gut gelaunt. Wer weiß, bei welchem Gespräch wir sie gerade gestört haben? Sie geben bereitwillig Auskunft und spielen ebenfalls das Spiel grandios mit, erfassen blitzschnell, was Herr L. hören möchte, und natürlich rasieren sich alle Drei mit einem Apparat der Marke Ph.

Herr L. ist erleichtert. Die kleine Feldstudie unter den greifbaren Herren der Elektronikmarktverkäufer hat statistisch gesehen ein gutes Ergebnis erzielt. Ich bin erleichtert und rolle zur Kasse, wo unser Glück vervollständigt wird. Der Parkschein wird um 50 Cents reduziert und wir zahlen am Parkautomaten nur noch 60. Obwohl Herr L. jedes Mal behauptet, man kann sich das Parkhaus sparen, denn er bekäme immer einen Parkplatz, setzte ich mich durch. Dieses Parkplatzglück trifft auf mich nie zu. Ich fahre den Wagen, und ich muss immer ins Parkhaus. Bequemer und schneller geht nicht. Das hat nun auch Herr L. endgültig begriffen und die Planung für den nächsten Montag steht schon. Er benötigt dringend eine neue Hose und ein neues Polohemd.....

 

Gastbeitrag von:

 

Dr. Uta Schnell
Kunsthistorikerin, Seniorenassistentin
Berlin (Bezirk Steglitz-Zehlendorf)

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